Die Vers-Erzählung handelt von einem Zauberspiegel, welcher seinem Besitzer nicht nur ermöglicht, in Vergangenheit und Zukunft zu schauen, sondern auch in der Lage ist, Diesem seine Wünsche zu erfüllen.
Es wird beschrieben, wie der Spiegel bei einigen seiner Besitzer Unglück, Tod und Verderben bringt, um ganz am Ende seinem letzten Besitzer doch im Guten behilflich zu sein.
Leseprobe DER SPIEGEL
Der Spiegel
*
Ein Spiegel war – ein wunderlich Ding’-
der schon seit undenklichen Zeiten
nicht nur die Sach’ des Lebens einfing,
um Menschen Freuden zu bereiten.
*
Er konnt’ viel mehr – man glaubt es wohl nicht,
trotzdem will ich es hier berichten –
als rückzuspiegeln in seinem Licht
die eingefangenen Geschichten.
*
Ein Auge war er – sogar ein Tor
in für uns unbekannte Welten.
Konnte Dinge zeigen, die zuvor
selbst uns’re Alten nicht erzählten.
*
So lassen Sie mich beginnen nun
und erzählen Ihnen die Geschicht’
von des Spieg’lein’s zauberhaftem Tun,
von dem man heute niemals mehr spricht…
* * * * *
– – Ein Kaufmann zurück aus fernem Land
nach vielen Jahren und Tagen kam,
woselbst er dieses Spiegelein fand,
nebst viel anderem, nützlichem Kram.
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– So nahm der Spiegel denn seinen Weg
durch viele Hände im Lauf der Jahr’
Manch Einer beging ein Sakrileg:
– Nahm den Zauber desselben nicht wahr !
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Endlich, an einem verschwiegenen Platz,
zu seiner übergroßen Freude, –
entdeckte ein Besitzer den Schatz;-
doch hielt er geheim seine Beute.
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Ein Schlossherr war er, sehr reich an Geld,
– doch arm in seiner schwarzen Seele.
Ein Mensch, wie er Vielen nicht gefällt;
– Dessen Näh’ man besser nicht wähle !
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Manch unschuldig’Seel’ – in seiner Gier, –
er hatte schon zu Tode gebracht.
Im Blutrausche, wie ein wildes Tier,
über die Qualen der Opfer gelacht !
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-Ein böses Herz sucht die Schönheit nicht,
um sich nur daran zu erfreuen.
Die Schöne wird stets beim Bösewicht
ihr leichtsinniges Tun bereuen…
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Der Spiegel, weder böse noch gut,
verhalf mit seinen Zauberkräften
dem schlimmen Mann, – in sinnloser Wut –
manch’ argloses Mädchen zu schlächten.
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Das Glas konnte weisen Ort und Zeit,
wo der Wüterich wollte finden
so manche unglückselige Maid,
die bald fand in Schmerzen sich winden.
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Bis eines Tages, fast wie zum Hohn,
durch eigenes Tun und Betreiben,
der Bösewicht bekam seinen Lohn;
– zu grus’lig ist’s fast zu beschreiben…
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Der Drang, stets Neues zu erleben,
– da’s Alt’ wurd’ ihm zum Überdruss,-
ließ nach der Zukunft hin ihn streben;
– so fasst’ er den fatalen Entschluss:
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Eines Abend’s, in stiller Stunde,
– es plagte ihn die Langeweile,-
er seinen Spiegel frug um Kunde
über’s Künft’ge, – zu seinem Heile.
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Der Spiegel – wie es war seine Pflicht, –
und wie er oft schon getan zuvor,
verweigert’ auch nun die Antwort nicht.
– – Das war das End’ für den bösen Tor’ !
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Was er geseh’n, kann man bloß ahnen;
es kann nur Schlimmes gewesen sein.
Es war’n wohl nicht wehende Fahnen,
welch’ brachten ihn zu seinem Schrein…
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Als man ihn trug zu seinem Grabe,
Entsetzen zeichnete sein Gesicht.
Nicht hatt’ erfahr’n er Gottes Labe,
– was er geschauet, – man weiß es nicht !
* * * * *
– Und wieder ging er auf die Reise,
– der kleine Spiegel, so unscheinbar;
– der auf seine eigene Weise
für manch’ Schicksal verantwortlich war.
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Erneut ging er durch viele Hände,
ohn’ dass man wusste um sein’ Magie.
Erst ein Zufall brachte die Wende;
-eine Jungfrau diesmal fand das Wie.
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Verzaubert von des Spiegelein’s Kunst,
wollte sie ruhen nicht Tag und Nacht.
Bat inständig um des Glases Gunst;
– `nen Freier wollt’ sie,- in Hochzeitstracht …
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Jedoch, so sehr sie sich auch mühte,
ihr Herzenswunsch ward ihr nicht erfüllt.
Von Tag zu Tag sie mehr verblühte;
– man sah es an ihrem Spiegelbild.
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– Gar alles wollt’ der Spiegel zeigen,
– nur Eines gewährte er ihr nicht:
Das Hochzeitsfest in buntem Reigen,
– sie fröhlich schreitend in hellem Licht!
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– Verzweifelt ging sie in einer Nacht
zum See, der in einem Walde dort.
-Dieser hat ihr dann den Tod gebracht
– und Gott nahm die arme Seele fort…
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Auf ein Weiteres dasselbe Spiel,
das scheinbar niemals sollte enden.
Es ging erneut durch Hände gar viel’;
– das Glas, das konnte ein Schicksal wenden.
* * * * *
Der Nächste, der nun den Schlüssel fand
zu den geheimnisvollen Welten,
war weithin als Philosoph bekannt.
– Tat Manchem gar als Genius gelten !
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Auch er hielt wohlweislich seinen Mund;
der Gründe dafür gab es viele.
Ansonst’ machte wohl die Mär’ die Rund’,
– der Teufel gar sei mit im Spiele …
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Er war ein Mensch von Bildung schließlich
und außerdem von edler Natur.
Des Leben’s froh, – gar nicht verdrießlich;
– der Welt Geheimniss’ stets auf der Spur.
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Und so – in manchen stillen Stunden,
wenn er alleine war und in Ruh’ –
hatt’ er Geheimnisvoll’s gefunden.
– Der Weise lernt lebenslang dazu !
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Statt zu stellen alberne Fragen,
herauszufordern des Schicksal’s Schlag,
wollt’ er ein Abenteuer wagen,
welch’ Wissen einzig vermitteln mag.
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Er fragte nach dem Lauf der Sterne;
das Rund der Erde erblickte er.
Erfuhr die Welt von nah und ferne;
erblickte Länder sowie das Meer.
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was er gesehen, schrieb er nieder;
– getreulich – ohn’ hinzu zu dichten.
Gab alles auf den Buchstab’ wieder;
– der Nachwelt davon zu berichten.
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So wurde sein Leben denn erfüllt
von all’ den wundersamen Gaben,
welche durch des Glases Spiegelbild
Den Wissensdürst’gen reichlich laben.
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Manches geriet in Vergessenheit
nach des so gelehrten Mannes Tod.
Über manches geriet man in Streit
ohn’ tieferen Grund und ohne Not.
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